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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Zusammenfassung des Urteils IV 2016/361: Versicherungsgericht

A. meldete sich im Dezember 2004 bei der IV-Stelle an und beantragte Leistungen. Nach verschiedenen medizinischen Untersuchungen und Gutachten wurde ihr Rentenbegehren abgelehnt. Es folgten Einsprachen und weitere Untersuchungen, bei denen die Arbeitsfähigkeit der Versicherten in Frage gestellt wurde. Schliesslich wurde die laufende Rente aufgehoben, da die Versicherte nicht ausreichend bei den Untersuchungen mitwirkte. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Abweisung der Beschwerde. Das Gericht entschied, dass die Verwertung der Observationsergebnisse zulässig war, aber die Rentenaufhebung aufgrund mangelnder Mitwirkung der Versicherten gesetzwidrig war. Die Angelegenheit wurde zur erneuten medizinischen Begutachtung an die IV-Stelle zurückverwiesen.

Urteilsdetails des Kantongerichts IV 2016/361

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2016/361
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2016/361 vom 18.12.2018 (SG)
Datum:18.12.2018
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 17 ATSG. Art. 43 ATSG. Verletzung der Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsabklärung in einem Revisionsverfahren. Umkehr der Beweislast. Vorläufiger Leistungsstop (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 18. Dezember 2018, IV 2016/361). Aufgehoben durch Urteil des Bundesgerichts 9C_104/2019.
Schlagwörter : IV-act; Observation; Sachverhalt; Rente; Gesundheit; Verfügung; Mitwirkung; Prozent; Arbeitsfähigkeit; Renten; IV-Stelle; Leistung; Gesundheitsbeeinträchtigung; Sachverständige; Person; Sachverhaltsabklärung; Mitwirkungspflicht; Recht; Haushalt; Einschränkung; Untersuchung; Gutachten
Rechtsnorm:Art. 17 ATSG ;Art. 43 ATSG ;Art. 8 ZGB ;
Referenz BGE:139 V 585; 143 I 377;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts IV 2016/361

Besetzung

Präsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterinnen Monika Gehrer-Hug und Karin HuberStuderus; Gerichtsschreiber Tobias Bolt

Geschäftsnr.

IV 2016/361

Parteien

A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Advokatin Dr. iur. Helena Hess, Schulstrasse 23, Postfach 406, 4132 Muttenz 1, gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin,

Gegenstand

Rentenrevision (Einstellung) Sachverhalt

A.

    1. A. meldete sich im Dezember 2004 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an (IV-act. 1). Der Hausarzt Dr. med. B. berichtete im Januar 2005 (IV-act. 8), die Versicherte leide an einem Status nach einer Sarkomexzision am linken Oberschenkel im Jahr 1995, an einem Status nach einer Hiatushernienoperation im August 2004, an einer langanhaltenden depressiven Reaktion, an einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom leichten Grades, an einer Pneumonie rechts basal im Dezember 2004 sowie an einer Plantarfascitis rechts. Bis auf weiteres sei sie vollständig arbeitsunfähig. Der Psychiater Dr. med. C. hielt im März 2005 fest (IVact. 10), die Versicherte leide an einer gemischten Angstund depressiven Störung im Rahmen einer Anpassungsstörung bei einer schwierigen psychosozialen Situation. Sie sei zu 50 Prozent arbeitsfähig, aber zurzeit arbeitslos. Die Stellensuche werde sich schwierig gestalten, was sich wiederum negativ auf die psychische Verfassung auswirken könne. Im November 2005 wurde bei der Versicherten eine laparoskopische Cholezystektomie durchgeführt (IV-act. 20). Am 18. November 2005 fand eine Abklärung im Haushalt der Versicherten statt. Der Abklärungsbeauftragte führte in seinem Bericht aus (IV-act. 22), die Versicherte sei als zu 37 Prozent erwerbstätig und als zu 63 Prozent im eigenen Haushalt tätig zu qualifizieren. Die Einschränkung im Haushalt belaufe sich auf 33,95 Prozent. Im Januar 2006 notierte Dr. med. D. vom IV-internen regionalen ärztlichen Dienst (RAD), die Arbeitsfähigkeitsschätzung von Dr. C. und die bei der Haushaltsabklärung festgestellte Einschränkung von 34 Prozent im eigenen Haushalt seien plausibel (IV-act. 23). Mit einer Verfügung vom 15. Februar 2006 wies die IV-Stelle das Rentenbegehren der Versicherten ab (IV-act. 28). Zur Begründung führte sie an, im Erwerbsbereich liege keine rentenbegründende Invalidität vor. Bei einer Gewichtung des Aufgabenbereichs mit 63 Prozent resultiere angesichts

      der festgestellten Einschränkung von 34 Prozent ein gewichteter Teilinvaliditätsgrad im Aufgabenbereich - und damit auch ein Gesamtinvaliditätsgrad von 21,38 Prozent. Ein Rentenanspruch bestehe aber erst ab einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent. Eine dagegen erhobene Einsprache wurde von der IV-Stelle mit einem Entscheid vom 5. April 2006 abgewiesen (IV-act. 37).

    2. Am 6. September 2006 liess die Versicherte eine Wiedererwägung des Einspracheentscheides vom 5. April 2006 beantragen (IV-act. 44). Zur Begründung machte sie geltend, um den Stent beim Gallenleck habe sich ein Abszess entwickelt, der operativ habe punktiert und abgesaugt werden müssen. Der Stent sei entfernt worden. Dieser ungünstige Verlauf habe die Versicherte in eine psychische Krise gestürzt. Der RAD-Arzt Dr. D. notierte im November 2006, mit der erwähnten Operation sei eine akute Erkrankung therapiert worden, weshalb sich daraus keine längerfristige Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit der Versicherten ableiten lasse; bezüglich der angeblichen psychischen Verschlechterung sei zu prüfen, ob sich die Versicherte überhaupt in einer psychiatrischen Behandlung befinde (IV-act. 47). Im Dezember 2006 berichtete Dr. C. (IV-act. 52), der psychische Gesundheitszustand der Versicherten habe sich im Januar 2006 verschlechtert. Diese leide nun an einer rezidivierenden depressiven Störung mittelschweren Grades mit somatischen Symptomen bei einer schwierigen, belastenden psychosozialen Situation. Sie könne keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen. Der RAD-Arzt Dr. D. bezeichnete die Ausführungen von Dr. C. als überzeugend (IV-act. 53). Bei einer weiteren Haushaltsabklärung im März 2007 wurde eine Einschränkung im Haushalt von 54,92 Prozent festgestellt (IV-act. 57). Der anhand der sogenannten gemischten Methode berechnete Invaliditätsgrad belief sich nun auf 71,6 Prozent (= 63% × 54,92% + 37% × 100%). Mit einer Verfügung vom 5. September 2007 und vom 3. April 2008 sprach die IV-Stelle der Versicherten rückwirkend ab dem 1. Mai 2006 eine Viertelsund ab dem

      1. August 2006 eine ganze Rente (bei einem Invaliditätsgrad von 72 Prozent) zu (IV-act. 65 f.).

    3. Im August 2014 erhielt die IV-Stelle einen anonymen telefonischen Hinweis, wonach der Versicherten im Alltag nichts von einer Gesundheitsbeeinträchtigung anzumerken sei (IV-act. 78). Im Auftrag der IV-Stelle erstattete der Ermittlungsund Observationsdienst E. im Februar 2015 einen Bericht über eine verdeckte Ermittlung

      (IV-act. 84). Er hielt fest, die Versicherte habe während der Observation keine Anzeichen einer Gesundheitsbeeinträchtigung gezeigt. Die RAD-Ärztin Dr. med. F. notierte im Februar 2015 (IV-act. 87), die Beobachtungen gemäss den Videosequenzen seien mit einer hochgradigen depressiven Störung schwer vereinbar. Äusserlich erkennbare Hinweise auf ein invalidisierendes Schmerzerleben fehlten. Die Versicherte habe sich flüssig und ohne Schonhaltungen bewegt. In einem Fragebogen, der ihr von der IV-Stelle zur Beantwortung zugestellt worden war, gab die Versicherte im März 2015 an (IV-act. 88), seit einiger Zeit leide sie jeden Tag an Schmerzen. Sie könne praktisch nichts mehr tun und sie gehe auch nicht mehr gerne aus dem Haus, weil sie keine Kraft dafür habe und weil sie nicht auf ihre Gesundheitsbeeinträchtigung angesprochen werden wolle. Die Hausärztin Dr. med. G. berichtete im März 2015, die schwer depressive und schmerzgeplagte Versicherte könne keiner Erwerbstätigkeit nachgehen (IV-act. 90). Die Klinik für Neurologie des Kantonsspitals St. Gallen teilte im April 2015 mit (IV-act. 91), die Versicherte leide an einer peroneal betonten radiogenen Schädigung des Nervus ischiadicus links. Aufgrund des nachvollziehbaren Schmerzsyndroms und der funktionellen Einschränkung liege eine Arbeitsunfähigkeit von etwa 30 Prozent vor. Am 1. September 2015 erstattete der Ermittlungsund Observationsdienst E. einen weiteren Observationsbericht (IV-act. 99). Er hielt fest, die Versicherte habe einen Einkauf getätigt und dabei wiederum keinerlei Anzeichen einer Gesundheitsbeeinträchtigung gezeigt. Die RAD-Ärztin Dr. F. empfahl im September 2015 nach einer Sichtung des Observationsmaterials eine medizinische Begutachtung (IV-act. 102). Am 11. November 2015 wurde die Versicherte von der IVStelle zu ihrem Gesundheitszustand befragt und sie wurde mit den Ergebnissen der Observation konfrontiert (IV-act. 108). Im Auftrag der IV-Stelle wurde die Versicherte in der Folge psychiatrisch und neurologisch begutachtet. Der psychiatrische Sachverständige Dr. med. H. beauftragte den Neuropsychologen I. mit einer neuropsychologischen Untersuchung. Dieser hielt in seinem Teilgutachten vom 14. März 2016 fest (IV-act. 128), bei der insgesamt dreieinhalb Stunden dauernden Untersuchung habe sich die Versicherte mehrheitlich unmotiviert verhalten. Sie habe häufig Pausen und Unterbrechungen eingefordert. Sämtliche Symptomvalidierungsverfahren hätten auffällige Ergebnisse geliefert. Die Testergebnisse betreffend die Aufmerksamkeit, die Konzentration und das Reaktionsvermögen, die exekutiven Funktionen, das Gedächtnis und das Lernen sowie

      die Wahrnehmung seien wegen erheblicher Inkonsistenzen und Implausibilitäten nicht interpretierbar. Der psychiatrische Sachverständige Dr. H. führte in seinem Teilgutachten vom 24. Mai 2016 aus (IV-act. 129), obwohl er die Versicherte an zwei Untersuchungsterminen während insgesamt mehrerer Stunden befragt habe, habe er sich kein klares Bild von der Situation der Versicherten verschaffen können. Die Beschwerdeschilderung sei insgesamt sehr vage und unklar gewesen. Das Ausdrucksverhalten der Versicherten sei während der Beschwerdeschilderung sehr stark betont gewesen. Teilweise habe die Versicherte stark widersprüchliche Angaben gemacht. Auch die neuropsychologische Untersuchung habe nichts zur Klärung beigetragen. Aufgrund der mangelhaften Mitwirkung der Versicherten könne weder eine Diagnose gestellt noch eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit begründet werden. Nach einer Würdigung der medizinischen Vorakten sei es zwar plausibel, dass die Versicherte zu Beginn des Krankheitsverlaufs aufgrund der sehr schwierigen körperlichen und psychosozialen Situation unter einer reaktiven depressiven Verstimmung im Sinne einer Anpassungsstörung vielleicht auch an einer eigentlichen depressiven Episode gelitten habe. Im Verlauf stünden aber ganz eindeutig die psychosozialen Probleme im Vordergrund, was die Versicherte auch selbst betont habe. Jedenfalls deute nichts auf eine gravierende, anhaltende depressive Verstimmung hin. Weil die Aktenlage insgesamt aber dürftig sei, könne nicht mit hinreichender Sicherheit angegeben werden, ob die Versicherte in der Vergangenheit längerdauernd arbeitsunfähig gewesen sei. Seit dem Beginn der ersten Observation sei allerdings der gegenwärtige Zustand ausgewiesen. Der neurologische Sachverständige Dr. med. J. hielt in seinem Teilgutachten vom 1. Juni 2016 fest (IV-act. 130), die Versicherte leide möglicherweise an einem chronisch neuropathischen Schmerzsyndrom nach der Exstirpation eines Sarkoms aus dem linken Oberschenkel sowie an chronischen Spannungskopfschmerzen. Beide Gesundheitsbeeinträchtigungen wirkten sich allerdings nicht auf die Arbeitsfähigkeit aus. Die Ausprägung der geltend gemachten Schmerzsymptomatik und der daraus angeblich folgenden Beeinträchtigungen stünden in einem diametralen Widerspruch zu den dokumentierten Verhaltensweisen während der Observation, was eine exaktere Einordnung verunmögliche, denn für eine solche sei man auf eine wahrheitsgemässe Kooperation angewiesen. In der neurologischen Untersuchung habe sich die Versicherte ebenfalls widersprüchlich und inkonsistent verhalten. Die Arbeitsfähigkeit

      könne nicht zuverlässig geschätzt werden. Nach einer Konsensbesprechung gaben die Sachverständigen an (IV-act. 131), sie könnten keine Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit der Versicherten stellen und infolge der mangelhaften Mitwirkung der Versicherten bei der Exploration könnten sie auch keine Arbeitsfähigkeitsschätzung abgeben. Die RAD-Ärztin Dr. med. F. notierte am 21. Juni 2016 (IV-act. 132), das bidisziplinäre Gutachten sei umfassend und es weise keine formellen Mängel auf. Die Sachverständigen hätten überzeugend darauf hingewiesen, dass von einem bewusstseinsnahen Prozess der Täuschung ausgegangen werden müsse. Angesichts der Observationsergebnisse sei davon auszugehen, dass die Versicherte mit der nötigen Willensanstrengung allfällige Einschränkungen überwinden und die dazu nötigen Ressourcen aufbringen könne.

    4. Mit einem Vorbescheid vom 8. August 2016 teilte die IV-Stelle der Versicherten mit, dass sie die Aufhebung der laufenden Rente auf das Ende des der Zustellung der noch zu erlassenden Verfügung folgenden Monats vorsehe (IV-act. 134). Zur Begründung führte sie an, der Gesundheitszustand der Versicherten habe sich massgeblich verbessert. Angesichts des Umstandes, dass von einer bewusstseinsnahen Simulation von Beschwerden auszugehen sei, könnte die Rente an sich rückwirkend aufgehoben werden, was eine entsprechende Rückforderung zur Folge hätte. Davon werde aber abgesehen. Die Versicherte liess am 14. September 2016 einwenden (IV-act. 140), sie sei krank und arbeitsunfähig. Die Begutachtung sei

„nicht korrekt“ erfolgt. Mit einer Verfügung vom 26. September 2016 hob die IV-Stelle die laufende Rente auf das Ende des der Zustellung der Verfügung folgenden Monats auf (IV-act. 143).

B.

    1. Am 27. Oktober 2016 liess die Versicherte (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) eine Beschwerde gegen die Verfügung vom 26. September 2016 erheben (act. G 1). Ihre Rechtsvertreterin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Weiterausrichtung der „vollen“ (recte: ganzen) Rente, eventualiter die Ausrichtung einer halben Rente und subeventualiter die Rückweisung der Sache an die IV-Stelle (nachfolgend: die Beschwerdegegnerin) zur weiteren Abklärung und zur neuen Verfügung. Zur Begründung führte sie an, die Hausärztin Dr. G. habe ausdrücklich

      darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin nicht arbeitsfähig sei. Die von der Beschwerdegegnerin mit der bidisziplinären Begutachtung beauftragten Sachverständigen hätten den massgebenden medizinischen Sachverhalt nicht umfassend abgeklärt. Ihr Gutachten enthalte zudem Widersprüche. Die Schlussfolgerungen hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin seien nicht nachvollziehbar. Die Observationsvideos zeigten nicht den wahren Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, sondern stellten lediglich Aufnahmen von jenen seltenen Momenten dar, in denen es der Beschwerdeführerin ausnahmsweise gut gegangen sei. Im weiteren Verlauf des Verfahrens habe man den Observationsergebnissen zu viel Gewicht gegeben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in einem Urteil vom 18. Oktober 2016 festgehalten, für Observationen fehle es im Sozialversicherungsrecht an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage.

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragte am 7. Februar 2017 die Abweisung der Beschwerde (act. G 7). Zur Begründung führte sie aus, die Observation der Beschwerdeführerin sei zulässig und verhältnismässig gewesen. Onkologische Gesundheitsbeeinträchtigungen hätten bei der Eröffnung der angefochtenen Verfügung nicht mehr vorgelegen; die onkologische Behandlung sei bereits im Jahr 2005 beendet worden. Da es aus medizinischer Sicht plausibel sei, dass die Beschwerdeführerin bei der ursprünglichen Rentenzusprache unter einer depressiven Verstimmung gelitten habe, und da nun keine psychische Gesundheitsbeeinträchtigung mehr habe nachgewiesen werden können, sei die Rentenaufhebung zu Recht erfolgt. Ein Anpassungsgrund liege zudem auch deshalb vor, weil die Beschwerdeführerin „als Gesunde“ mittlerweile wohl in einem Vollpensum erwerbstätig wäre, weshalb der Invaliditätsgrad nun mittels eines (reinen) Einkommensvergleichs berechnet werden müsse. Angesichts der nachgewiesenen Aggravation könne rechtsprechungsgemäss keine relevante Gesundheitsbeeinträchtigung mehr vorliegen. Auch die im Vordergrund stehenden psychosozialen Probleme schlössen die Anerkennung einer relevanten Gesundheitsbeeinträchtigung aus.

    3. Die Beschwerdeführerin liess am 28. April 2017 an ihren Anträgen festhalten (act. G 12). Ihre Rechtsvertreterin reichte Berichte der Klinik K. und der psychiatrischen Klinik L. aus der Zeit zwischen November 2016 und April 2017, laut denen die

      Beschwerdeführerin an einer rezidivierenden depressiven Störung mit einer schweren depressiven Episode litt (act. G 12.1 ff.), einen Bericht des Adipositaszentrums des Kantonsspitals St. Gallen vom 15. März 2017 (act. G 12.4), eine Stellungnahme von Dr. G. vom 13. März 2017 (act. G 12.5) sowie einen Bericht des Spitals M. vom 27. April 2017 ein, laut dem die Versicherte an einer Achillodynie rechts und an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung litt (act. G 12.8).

    4. Die Beschwerdegegnerin hielt am 26. Juni 2017 an ihrem Antrag fest (act. G 17).

    5. Die Beschwerdeführerin liess am 17. August 2018 einen Bericht des Spitals M. vom 13. Juli 2018 einreichen (act. G 19), laut dem sie im Juli 2018 während zehn Tagen wegen einer Oxygenisierungsstörung unklarer Ätiologie behandelt worden war (act. G 19.1).

    6. Am 7. Dezember 2018 liess die Beschwerdeführerin darauf hinweisen (act. G 21), dass sie sich seit vier Wochen in der psychiatrischen Klinik L. befinde und dass es ihr nicht gut gehe. Zudem liess sie ihren Antrag um die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückziehen.

Erwägungen

1.

Bei der angefochtenen Verfügung vom 26. September 2016 handelt es sich um eine Rentenrevisionsverfügung im Sinne des Art. 17 Abs. 1 ATSG. Diese Interpretation der angefochtenen Verfügung ist auch von der Beschwerdegegnerin selbst in deren Beschwerdeantwort vertreten worden. Zu prüfen ist in diesem Beschwerdeverfahren folglich, ob nach der ursprünglichen Rentenzusprache eine Sachverhaltsveränderung eingetreten ist, die eine revisionsweise Rentenaufhebung erfordert hat.

2.

Zunächst ist die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage nach der Zulässigkeit der Observation zu beantworten. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stellt der Art. 59 Abs. 5 IVG entgegen der von der Beschwerdegegnerin vertretenen

Auffassung keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Erteilung eines Observationsauftrages durch die Invalidenversicherung dar (BGE 143 I 377), weshalb die Observation grundsätzlich als rechtswidrig bezeichnet werden muss. Nun ist die Observation aber bereits durchgeführt worden. Folglich kommt der Frage nach deren Zulässigkeit gar keine Relevanz mehr zu. Zu prüfen bleibt nur, ob es zulässig ist, die Ergebnisse der Observation zu verwerten. Laut der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Frage nach der Verwertbarkeit von Observationsergebnissen unabhängig von der Frage nach der Zulässigkeit der Durchführung einer Observation zu beantworten; die Antwort hat anhand einer Interessenabwägung zu erfolgen (BGE 143 I 377). Dabei wird dem Interesse der Versichertengemeinschaft an der Aufdeckung respektive Vermeidung von unrechtmässigen Leistungsbezügen praxisgemäss in aller Regel ein höheres Gewicht als dem Interesse der betroffenen Person auf Wahrung ihrer Privatsphäre eingeräumt, sofern sich die Observation hinsichtlich ihrer Art und ihres Umfangs als verhältnismässig erweist. Mit Blick auf die bundesgerichtliche Praxis kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Verwertung der Observationsergebnisse im vorliegenden Fall als zulässig qualifiziert werden muss, da die Beschwerdeführerin nur an neun Tagen observiert (und nur an drei Tagen effektiv beobachtet) worden ist und da sich dies auf die Beobachtung beim Einkaufen und auf dem Weg zum Supermarkt und von dort nach Hause beschränkt hat, das „Eindringen“ in die Privatsphäre der Beschwerdeführerin also minimal gewesen ist. Das Observationsergebnis ist zudem beweisrechtlich von untergeordneter Bedeutung, weil sich die angefochtene Verfügung in massgeblicher Hinsicht auf das bidisziplinäre Gutachten der Dres. H. und J. gestützt hat. Folglich besteht keine Notwendigkeit, die Entfernung des Observationsmaterials aus den Akten anzuordnen.

3.

    1. Die Beantwortung der Frage nach einer relevanten Sachverhaltsveränderung im Sinne des Art. 17 Abs. 1 ATSG setzt unter anderem die vollständige Ermittlung des relevanten Sachverhaltes im Zeitpunkt des Abschlusses des Revisionsverfahrens voraus. Die Beschwerdegegnerin hat nach dem Eingang der Observationsergebnisse zu Recht versucht, den aktuellen medizinischen Sachverhalt mittels eines bidisziplinären Gutachtens zu ermitteln. Dieser Versuch ist allerdings wegen des Verhaltens der Beschwerdeführerin bei sämtlichen Untersuchungen bei der

      neuropsychologischen Testung, bei den beiden psychiatrischen Explorationen und bei der neurologischen Untersuchung gescheitert: Der Neuropsychologe hat dargelegt, die Resultate der Symptomvalidierungstests seien derart auffällig gewesen, dass eine krankheitsbedingte Erklärung für die schlechten Resultate nicht in Frage komme; die Beschwerdeführerin müsse bewusst wenigstens bewusstseinsnah falsche Antworten geliefert haben. Der psychiatrische Sachverständige hat ausführlich aufgezeigt, dass die Beschwerdeführerin in der Exploration inkonsistente und teils widersprüchliche Angaben gemacht hatte und dass sie sich auch inkonsistent verhalten hatte, ohne dass Hinweise auf eine krankheitsbedingte Ursache für diese Inkonsistenzen vorgelegen hätten. Die Widersprüchlichkeiten könnten nur durch einen bewussten bewusstseinsnahen Prozess erklärt werden. Das werde durch das in den Observationsvideos gezeigte unauffällige Verhalten der Beschwerdeführerin im vermeintlich unbeobachteten Alltag „abgerundet“. Auch der Neurologe hat darauf hingewiesen, dass er sich angesichts der mangelnden Mitwirkung der Beschwerdeführerin ausser Stande gesehen habe, einen zuverlässigen objektiven klinischen Befund zu erheben. Das bidisziplinäre Gutachten der Dres. H. und J. belegt also letztlich nur die Tatsache, dass der medizinische Sachverhalt mangels einer ausreichenden Mitwirkung der Beschwerdeführerin nicht hat erhoben werden können. Konsequenterweise hätten sich die Sachverständigen darauf beschränken müssen, anzugeben, dass sie gar keine Arbeitsfähigkeitsschätzung abgeben könnten, denn wenn es nicht gelungen ist, den medizinischen Sachverhalt zu erheben, kann auch keine medizinische Würdigung des (nicht bekannten) Sachverhaltes erfolgen. Die Sachverständigen sind allerdings einem (auch unter Juristen) weit verbreiteten beweisrechtlichen Irrtum aufgesessen, indem sie davon ausgegangen sind, dass aus dem fehlenden Nachweis einer Gesundheitsbeeinträchtigung eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit abgeleitet werden könne. Dieser Schluss ist unzulässig, weil ja auch ein Nachweis für eine unbeeinträchtigte Gesundheit fehlt und nicht nur jener für eine beeinträchtigte Gesundheit. Erst beim Vorliegen einer objektiven Beweislosigkeit kann eine entsprechende Beweislastverteilungsregel zur Anwendung kommen, aber das ist nicht die Aufgabe der Mediziner, sondern die Aufgabe der Juristen. Die im Gutachten der Sachverständigen Dres. H. und J. enthaltenen Schlussfolgerungen überzeugen folglich nicht, aber das Gutachten belegt (immerhin) mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der massgebende

      medizinische Sachverhalt mangels einer ausreichenden Mitwirkung der Beschwerdeführerin bei der Sachverhaltsabklärung nicht hat erhoben werden können.

    2. Solange die Beschwerdeführerin ihre Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsabklärung nicht erfüllt, steht das Verwaltungsverfahren an sich notwendigerweise still, denn ein nicht ausreichend abgeklärter Sachverhalt (fehlender Nachweis einer Arbeitsfähigkeit einer Arbeitsunfähigkeit) kann rechtslogisch nicht juristisch gewürdigt werden. Folglich hätte die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin dazu bringen müssen, ihre Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsabklärung doch noch zu erfüllen. Als Druckmittel hätte sie den Art. 43 Abs. 3 ATSG anwenden müssen, der es bei einer korrekten lückenfüllenden Interpretation erlaubt, die Auszahlung einer laufenden Dauerleistung bei einer Weigerung der versicherten Person, ihre Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsabklärung zu erfüllen, per sofort vorläufig zu stoppen (vgl. BGE 139 V 585 und TOBIAS BOLT, Folgen einer Mitwirkungspflichtverletzung, in: JaSo 2016, S. 176). Ein solcher Leistungsstop verhindert bis auf weiteres die Auszahlung einer allenfalls nicht mehr im bisherigen Umfang geschuldeten Dauerleistung und beseitigt damit die Gefahr eines rechtsmissbräuchlichen Leistungsbezuges. Gleichzeitig ist er das stärkste und folglich auch das wirksamste Druckmittel, um die versicherte Person dazu zu bringen, ihrer Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsabklärung nachzukommen. Im Gegensatz zu einer definitiven Leistungsaufhebung, die gemäss der bundesgerichtlichen Praxis als Alternativlösung zur Verfügung stehen soll (vgl. etwa die nicht amtlich publizierte E. 3.3 des BGE 139 V 585 = Urteil 8C_481/2013 vom 7. November 2013, mit Hinweisen), erlaubt es ein solcher Leistungsstop auch, das eigentliche Ziel des Verwaltungsverfahrens - die Anwendung des objektiven Rechts auf einen umfassend abgeklärten Sachverhalt - doch noch zu erreichen. Wenn die versicherte Person nämlich ihren Widerstand aufgibt und ihre Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsabklärung erfüllt, kann das Revisionsverfahren fortgesetzt werden. Das erlaubt es dann dem Sozialversicherungsträger, seiner gesetzlichen Pflicht - der Anwendung des objektiven Rechts vollumfänglich nachzukommen. Der versicherten Person steht im Gegenzug die Möglichkeit offen, die ihr gesetzlich zustehenden Leistungen nach der Aufgabe ihres Widerstandes beziehen zu können, wenn die Abklärung nach der Aufgabe des Widerstandes zeigt, dass nach wie vor ein Anspruch auf die bisherige Leistung besteht. Die angebliche Alternativlösung, die darin besteht,

      eine Beweislastumkehr anzunehmen und das blockierte Revisionsverfahren ohne eine weitere Sachverhaltsabklärung (trotz des fehlenden Nachweises einer Arbeitsfähigkeit einer Arbeitsunfähigkeit) definitiv abzuschliessen, stellt nicht nur eine wesentlich unverhältnismässigere und den eigentlichen Sinn und Zweck des Verwaltungsverfahrens (die Anwendung des objektiven Rechts) verfehlende „Lösung“ dar, sondern sie beruht vor allem auch auf einem falschen Verständnis vom Begriff der objektiven Beweislosigkeit. Eine objektive Beweislosigkeit kann nämlich erst dann vorliegen, wenn überhaupt keine Abklärungsmassnahmen mehr in Frage kommen, mit denen der relevante Sachverhalt (Arbeitsfähigkeit Arbeitsunfähigkeit) noch vollständig ermittelt werden könnte. Das ist aber nicht der Fall, wenn die Sachverhaltsabklärung wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht der versicherten Person ins Stocken geraten ist, denn in einer solchen Situation besteht ja die Möglichkeit, die versicherte Person durch Zwang dazu zu bringen, ihre Mitwirkungspflicht doch noch zu erfüllen, womit doch noch festgestellt werden kann, ob die versicherte Person arbeitsfähig arbeitsunfähig ist. Diese Möglichkeit schliesst die Annahme einer objektiven Beweislosigkeit rechtslogisch aus. Solange aber keine objektive Beweislosigkeit vorliegt, kann eine (analoge) Anwendung des Art. 8 ZGB respektive eine „Umkehr der Beweislast“ gar nicht in Frage kommen. Das bedeutet, dass es bei einer Verletzung der Mitwirkungspflicht der versicherten Person bei der Sachverhaltsabklärung keine Wahlfreiheit der Verwaltung gibt, entweder die laufende Leistung vorläufig zu stoppen aber das Revisionsverfahrens mittels einer

      „Umkehr der Beweislast“ definitiv abzuschliessen. Nur ein vorläufiger Leistungsstop nach Durchführung des sogenannten Mahnund Bedenkzeitverfahrens ist in einer solchen Situation zulässig. Die angefochtene Verfügung, mit der die Beschwerdegegnerin keinen vorläufigen Leistungsstop, sondern eine materielle revisionsweise Rentenaufhebung vorgenommen hat, ist folglich gesetzwidrig, denn sie verstösst gegen den (lückenfüllend ergänzten) Art. 43 Abs. 3 ATSG, gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip und gegen den (analog anwendbaren) Art. 8 ZGB. Sie ist deshalb aufzuheben und die Sache ist zur Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens, das heisst zunächst zu einer erneuten medizinischen Begutachtung - nach einer vorgängigen Androhung eines vorläufigen Rentenstops bei einer mangelhaften Mitwirkung der Beschwerdeführerin bei der Begutachtung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

    3. Im Sinne eines obiter dictum ist darauf hinzuweisen, dass mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft dieses Urteils keine Grundlage mehr besteht, die Auszahlung der wohl seit November 2016 nicht mehr ausgerichteten Renten weiter zu verweigern; die Beschwerdegegnerin wird die zurückbehaltenen Renten nachzahlen und wieder eine laufende Rente ausrichten müssen, bis das Verwaltungsverfahren abgeschlossen sein wird.

4.

Dieser Verfahrensausgang entspricht praxisgemäss hinsichtlich der Kostenund Entschädigungsfolgen einem vollständigen Obsiegen der Beschwerdeführerin. Die Gerichtskosten von 600 Franken sind folglich der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten. Der erforderliche Vertretungsaufwand ist als durchschnittlich zu qualifizieren, weshalb sich die von der Rechtsvertreterin eingereichte Honorarnote über 4’056.10 Franken als deutlich übersetzt erweist. Die Parteientschädigung wird praxisgemäss auf 3’500 Franken (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) festgesetzt.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird die angefochtene Verfügung vom 26. September 2016 aufgehoben und die Sache wird zur Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

2.

Die Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten von 600 Franken zu bezahlen.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin mit 3’500 Franken zu

entschädigen.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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